Thema
Fukushima oder die Transformation der Seele

Und wie reagieren wir auf die sich häufenden Naturkatastrophen? Haben wir damit nichts zu tun? Erkennen wir die Warnungen der Natur nicht?
Durch dekadentes Wohlstandsdenken und Wissens-Überflug in gefühlter virtuellen Allmacht verarmen unsere seelischen Wurzeln. Die rapide technische Entwicklung des 20. Jahrhunderts hat uns zwar schon auf die Oberfläche des Monds gebracht - aber auch an den Rand des Abgrunds eines nuklearen Krieges oder dank der fortschreitenden Globalisierung auch an die Schwelle immer stärker werdender ökologischer und sozialer Katastrophen.
Haben wir noch alles im Griff? Wo bleiben die Kultur des Miteinanders, neue Werte und Entwicklungen der zivilisatorischen Substanz unserer Gesellschaft?
Langweilt uns das „normale“, allseits abgesicherte Leben immer mehr? Haben wir schon alles gesehen, alles erlebt, wenn auch das meiste nur virtuell? Da dabei die körperliche Erfahrung meist ausbleibt, suchen wir das Sensationelle, den ultimativen Kick neuer Extreme im Sport, um unsere Existenz überhaupt noch spüren zu können.
Doch wohin führen diese zunehmenden Kräfte exzentrischer Gier und die damit einhergehende Zerstörungswut?

Sind wir bereits Gefangene unserer eigenen Hybris und haben unsere Seelen auf dem Altar des Fortschritts- und Wachstumswahns geopfert?
Es kann sich leicht das Gefühl aufdrängen, dass wir um der Erkenntnis, der Schöpfungskraft und der Macht willen, unsere Seele verkauft hätten.
Und zu welchem Preis? Ist es heute nicht sehr augenfällig, dass das Mitgefühl mit anderen Menschen stark zurückgegangen ist? Da werden in der U-Bahn Menschen zu Tode getreten, Hooligans liefern sich in Stadien Schlachten oder ganz gelangweite und entwurzelte Jugendliche schließen sich dem Jihad an und köpfen emotionslos willkürliche Geiseln...
Diese Empathielosigkeit, die im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts mit Menschen verachtenden, Völker mordenden Diktaturen von oben her begann, ist heute ganz unten im normalen Alltag angekommen.
Und wie steht es um unser Mitgefühl für andere Lebewesen und die Natur? Wir verzehren Fleisch von in Massentierhaltungen total gestressten und gequälten Tieren und bekommen nicht mit, dass wir auch diese Energie mitessen. Wir finden uns ab mit denaturierten Lebensmitteln und können uns einfach nicht mehr erinnern wie eine Tomate vor 50 Jahren noch nach Tomate geschmeckt hat oder ein Apfel nach Apfel und die Milch nach wenigen Tagen sauer geworden ist. In der Natur unserer heutigen industriell gefertigten Lebensmittel ist kaum mehr Natur drin, sondern eher Antibiotika (anti = gegen + Bios = Leben).

Es ist grandios aber auch erschreckend, was unser Geist erschaffen hat und wie der menschliche Schöpfungsdrang die universelle Schöpfung als Geisel zu nehmen versucht.
Unser „Wissen“ ist in den letzten 100 Jahren schier explodiert und der Hunger nach immer tieferer Analyse ist unstillbar. Der Siegeszug der „Wissenschaften“ ist kaum zu bremsen.
Da hat sich wohl seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Macht in den Vordergrund geschoben, die alles „Wissen“ auch zur massenhaften Zerstörung und abgrundtiefer Entmenschlichung nutzt.
Im Mittelalter hätte man sie wohl mit dem Teufel in Verbindung gebracht, heutzutage könnte es sich um das menschliche Ego und unsere nahezu göttlichen Allmachtsphantasien handeln.
Schon längst könnten wir mit unseren Waffen die ganze Erde entvölkern und allem Leben ein Ende setzen. Noch haben wir es nicht getan, aber irgendwie schleicht sich dieses Potential von hinten herum in unser Leben: neben der oben angedeuteten allmählichen Vergiftung durch unsere „Lebens“mittel über viele z.T. neuartige bzw. zunehmenden unheilbaren Krankheiten (Aids, Ebola, Krebs etc.) bis hin zum „Wahnsinn“ auf unseren Strassen oder durch immer extremere Naturkatastrophen.
Schön langsam kommt die Rechnung für unseren Wissensdurst-Kredit auf den Tisch und „Mephisto“ fordert den Tribut für den Pakt, den wir wohl unbewusst mit ihm geschlossen haben.
Neben dem „Faust“ von Goethe gibt auch noch viele weitere Überlieferungen, Religionen und Mythen in denen auf eine Macht Bezug genommen wird, die das „Böse“ repräsentiert. Irgendwie drängt sich heute doch bei näherem Hinsehen der Anschein auf, als dass da doch etwas Wahres dran sein könnte. Nur hat sich diese Macht wohl aus der nach außen projizierten Hölle zurückgezogen und sich im Inneren der Menschen festgesetzt.

Oder gibt es das, was wir Seele nennen überhaupt?
Wenn aber doch, was bräuchte unser Gemüt, um in so einer so rücksichtslos ausgebeuteten Umwelt und pervertierten Innenwelt überleben zu können?
Wie können wir unsere seelischen Anteile so wiederbeleben oder transformieren, dass wir unseren Mitmenschen und unserer Umwelt wieder mehr Empathie entgegenbringen können?
Könnte uns evtl. die Kunst und explizit der Tanz dabei helfen, uns wieder in den Reigen der natürlichen Abläufe zu integrieren und uns unseres gefühlsmäßigen Potentials bewusst zu werden und zu entfalten?
Tanz oder Yoga, Kunst oder Musik sind symbolische Kommunikationsformen, die unsere Seele verstehen kann, da sie hier mit Bildern oder Energien gefüttert wird, die sie tief im Innersten bewegen, anrühren und ergreifen.
Tanz ist zumindest ein Schlüssel, mit dem das verschlossene Schatzkästchen in uns wieder geöffnet werden kann, um unserer Mitgefühl zu befreien. Wir müssen wieder lernen, mehr menschliche Tiefe zuzulassen, um endlich zu erkennen, dass unsere gesamte physische Außenwelt nur als Spiegel unserer eigenen Seele fungiert.
Mittels des ausdrucksvollen Butoh-Tanzes werden wir uns der Verkümmerung unserer Gefühle annehmen und versuchen die Verzauberung unserer Seele so zu transformieren, dass wir uns unserer Verantwortung gegenüber den Mitmenschen und der Natur wieder bewusst zuwenden können.
Tanz als T(r)anzformation...
delta RA'i - im Oktober 2014
alle Photos: © 2011 Alicja Bialas